Musik verbindet auch im Alter
In der Regel sind es Jugendliche oder junggebliebene Erwachsene, die ein Instrument erlernen. Doch seit zwei Jahren kommt Goswinde Hellge von der Kreismusikschule Passau regelmäßig ins Rosenium nach Tiefenbach, um dort mit einer Gruppe von alten Bewohnern zu arbeiten. Im Schnitt sind die „Schüler“ weit über achtzig, die älteste Teilnehmerin ist sogar bereits 97 Jahre alt. An diesem Mittwochvormittag sitzt die Gruppe im Aufenthaltsraum im dritten Stock und wartet darauf, dass es losgehen kann. Was an sich schon eine Leistung ist. Denn zunächst müssen die Rollstühle an den Tisch gefahren, Saftgläser gefüllt und Rollatoren so geparkt werden, dass sie jederzeit einsatzbereit sind. Genau wie bei den Jungen wird getuschelt und gelacht, aber manch einer schaut auch nur stumm vor sich hin, weil seine Welt eine verborgene ist, eine, die sich schon lange nicht mehr im Jetzt befindet.
Goswinde Hellge begrüßt alle erst persönlich und dann mit einem Lied. Sie weiß, dass diese Schüler vor allem Rituale brauchen, etwas, woran sie sich orientieren können. „Jeden Morgen geht die Sonne auf“, singt sie vor, begleitet sich selbst auf der Gitarre und ermutigt alle laut mitzusingen. „Ich kann nicht singen“, erzählt Hildegard Knaur und verrät, dass die Lehrer ihrer Schulzeit nie von ihren gesanglichen Künsten begeistert waren. Doch solche Dinge zählen hier nicht mehr und darum singt die 89-jährige auch eifrig mit. Hauptsache mit Vergnügen, ist das Motto und darum werden jetzt auch ein paar Instrumente ausgeteilt. Etwas das scheppert, klappert und kracht. Beim Text heraussuchen hilft man sich gegenseitig, denn als nächstes kommt: „Lustig ist das Zigeunerleben“. Es müssen Lieder aus der Kindheit und Jugend sein, weiß Goswinde Hellge, denn die kennen die alten Herrschaften noch wie einst und singen sie auch genauso schwungvoll mit, wobei manch einer, mit ihrem Instrument, kühn den Takt dazu gibt.
Dann ist es Zeit für ein kleines Tänzchen. Natürlich im Sitzen, denn in diesem Alter muss man keine Leistung mehr bringen. Es geht rein um den Spaß an der Bewegung und den haben alle.
Für die Heimleiterin Anita Moos ist diese einzigartige Kooperation zwischen Musikschule und Rosenium ein wunderbares Angebot. „Das gibt es sonst nirgends und wir freuen uns natürlich sehr, dass Goswinde Hellge regelmäßig zu uns kommt.“ Für die Tiefenbacherin Hellge ist ihr Besuch inzwischen schon ganz selbstverständlich. „Beim ersten Mal kam ich ins Rosenium, um zu sehen, was hier angeboten wird und wie die alten Herrschaften untergebracht sind“, erzählt sie und verrät, dass sie begeistert war und sich gedacht hat, da kann ich auch einen Beitrag leisten. Inzwischen freut sie sich regelmäßig auf ihre Besuche, weil sie weiß, dass immer etwas hängen bleibt, ein neues Fenster zur Vergangenheit geöffnet werden kann. Musik verbindet und trägt viele, meist positive Erinnerungen in sich.
So wie die Geschichte vom Goldtöchterchen, die Goswinde Hellge aus einem ganz alten Märchenbuch vorliest. Beim Zuhören werden die Gedanken in die eigene Jugend zurück getragen, als man noch jung war und viel Kraft hatte, man den Alltag noch allein bewältigen konnte. Als sie gleich darauf das Lied vom Kuckuck anstimmen, huscht sogar über ein bisher ausdrucksloses Gesicht ein kleines Lächeln und auf einmal ertönt das „Kuckuck“ so vielstimmig, wie es den ganzen Morgen nicht geklungen hat. Das ist der Moment, wo man verstehen kann, warum Goswinde Hellge die Besuche bei den alten Leut´chen im Rosenium so mag.