Ein einseitiges Wiedersehen nach 78 Jahren

Kunigunde Höllmüller ist über 90 Jahre alt und lebt seit Jahren im Rosenium in Neureichenau. Als sie dort eines Morgens die Passauer Neue Presse aufschlug, traute sie zunächst ihren Augen nicht. Auf einer der Todesanzeigen erkannte sie, nach 78 Jahren, ihr „erstes Baby“ wieder und freute sich, zumindest auf diesem Wege noch einmal von ihrem einstigen Liebling zu erfahren. Als drittes von 16 Kindern geboren, musste Kunigunde schon im zarten Alter von 13 Jahren zum Nachbarn in Stellung gehen, um ein bisschen Geld dazu zu verdienen. Johann, der damals erst wenige Monate alt war, war das erste von vielen Kindern, um den sie sich kümmern musste. Zwei Mark bekam sie als Lohn, was damals genauso üblich war, wie die Tatsache, dass sie immer Hunger hatte. „Wenn der Kleine seine Flasche nicht leer trinken wollte, dann habe ich mich schon auf den Rest gefreut“, erzählt sie rückblickend über eine ganz arme Zeit. Später hat sie dann zwar mehr verdient, aber die Arbeit wurde auch immer schwerer.

Als sie in Passau in einem Innstadt-Wirtshaus in Stellung war, musste sie einmal zum Wochenmarkt am Dom, um dort ein Spanferkel abzuholen. Sie trug es auf den Armen zurück, doch bevor sie die Innbrücke erreichte, zappelte das kleine Schwein so sehr, dass es ihr entkam. Nur mit der Hilfe von Passanten konnte sie es wieder einfangen und im Wirtshaus abliefern. Dort sperrte sie es in eine Kiste, um es später zu schlachten. Dabei hat das Ferkel wieder stark gestrampelt, aber geholfen hat es ihm und ihr nicht. „Ich musste dort alles machen, ob es mir gefallen hat oder nicht.“ Sie hat noch manch schwere Arbeit in ihrem Leben verrichtet, den Johann, hat sie aber nie wieder getroffen. „Ich habe mich oft gefragt, was aus ihm geworden ist. Jetzt ist er tot“, sagt sie traurig, „aber zumindest habe ich jetzt ein Bild von ihm.“